Die Muskeln werden auf die Belastung vorbereitet, das Verletzungsrisiko wird minimiert: Dehnübungen spielen als zentraler Bestandteil des Aufwärmprogramms eine wichtige Rolle für die Gesundheit. Während beim Aufwärmen Körper und Geist als Einheit im Mittelpunkt stehen, konzentrieren sich die meisten Dehnübungen gezielt auf die Muskelpartien, die später auch zum Einsatz kommen. Wie lange und wie intensiv gedehnt werden sollte, ist dabei von der Sportart sowie dem Trainingsziel abhängig.
Jeder Muskel besteht aus mehreren Muskelfasern (Sarkomere), die wiederum aus vielen kleinen, ineinander geschobenen Fasern (Filamente) aufgebaut sind. Die in den Filamenten enthaltenen Proteine Titin, Aktin und Myosin sorgen im Ruhezustand für eine Grundspannung des Muskels, bei Belastung für die Anspannung bzw. Kontraktion. Mit regelmäßigen Dehnübungen wird auch das Zusammenspiel dieser Proteine im Muskel trainiert – der Muskel wird geschmeidiger und beweglicher.
Regelmäßiges Dehnen hat auch langfristige Auswirkungen auf die Muskulatur. Feine Sensoren innerhalb der Muskeln teilen dem Gehirn bei jeder Belastung den aktuellen Dehnungsgrad des Muskels mit. Wird die gewohnte Dehnungsgrenze überschritten, regt das Gehirn die Bildung von Titin an, um den Muskel zu stabilisieren. Dadurch wird auf Dauer die Grundspannung des Muskels verbessert – die Muskulatur wird fester, stabiler und bewegungssicherer.
Darüber hinaus hat ein gedehnter Muskel einen besseren Stoffwechsel und kann so mehr Nährstoffe aus dem Blut aufnehmen. Für das Training heißt das: Energie kann schneller bereitgestellt werden, während Abfallprodukte und freie Radikale abtransportiert werden.
Aus dem Stand mit den Fingerspitzen den Boden berühren ohne die Knie zu beugen: Diese einfache Übung gibt schnell Auskunft über die Beweglichkeit der großen Muskelpartien. Durch einen hauptsächlich sitzenden Alltag mit häufig einseitiger Belastung verkürzen sich besonders die Muskeln in Nacken, Rücken und Hüfte. Die häufige Folge sind Verspannungen und Schmerzen: Eine verspannte Hüftbeugemuskulatur verstärkt zum Beispiel den Zug auf die Lendenwirbelsäule. Das Becken kippt nach vorne, eine Hohlkreuzstellung entsteht.
Regelmäßige Dehn- und Beweglichkeitsübungen können nicht nur helfen, Beschwerden vorzubeugen, sondern auch den Bewegungsspielraum der Muskeln wiederherzustellen. Der Muskel gewinnt durch das Dehnen also nicht an tatsächlicher Länge, sondern an Beweglichkeit.
Dehnübungen müssen dabei nicht unbedingt vor oder nach dem Sport durchgeführt werden, sondern können auch als reines Dehn- und Beweglichkeitstraining sinnvoll sein. Dehnen ist damit auch alltagstauglich: In wenigen Minuten und ganz ohne Hilfsmittel können die wichtigsten Muskelpartien gelockert und gedehnt werden.
Arme und Schultern | Rücken | Brustmuskulatur |
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Die rechte Hand mit gebeugtem Arm von oben zwischen die Schulterblätter schieben. Den rechten Ellenbogen mit der linken Hand umfassen und sanft nach unten schieben. Die Position 20 Sekunden halten, dann mit dem anderen Arm wiederholen. Diese Übung kann auch sehr gut im Sitzen am Schreibtisch ausgeführt werden. Wichtig: Die Schultern nicht zu den Ohren ziehen. |
In Schrittstellung ca. 50 cm vor eine Wand stellen, die Handflächen schulterbreit mit leicht gebeugten Ellbogen dagegen legen. Den Bauchnabel einziehen und das Kinn zur Brust ziehen. Jetzt den Brustkorb in Richtung Wand bewegen – im Bereich der Schulteraußenseite sollte die Dehnung zu spüren sein. An dieser Position 15-20 Sekunden halten, lösen und wiederholen. |
Für diese Übung wird ein zusammengerolltes Handtuch benötigt – ein fester Schal oder ein Geschirrhandtuch sind ebenfalls geeignet. Das Handtuch mit gestreckten Armen vor dem Körper halten. Langsam die Arme nach oben führen, dabei die Schulterblätter bewusst nach unten senken. Die Dehnposition 30 Sekunden halten und drei Mal wiederholen. Diese Übung dehnt die Brustmuskulatur und streckt die Brustwirbelsäule: Ein idealer Ausgleich für den eher runden Rücken im Sitzen. |
Die Intensität der Dehnung kann dabei dem Trainingsstand angepasst werden. Und das Beste: je regelmäßiger das Dehn- und Beweglichkeitstraining absolviert wird, desto größer wird der Bewegungsspielraum der Muskeln.
Beim statischen Dehnen, auch als „Stretching“ bekannt, wird eine Dehnposition für mehrere Sekunden gehalten. Werden Dehnübungen „aus der Bewegung heraus" durchgeführt, spricht man vom dynamischen Dehnen. Beim Anspannungs-Entspannungs-Dehnen wird der Muskel erst 4 bis 8 Sekunden gegen den Widerstand angespannt, dann bewusst entspannt und für einige Sekunden weiter gedehnt. Welche Form am besten geeignet ist, hängt dabei von der Sportart, dem Trainingsziel sowie dem Trainingsaufbau ab. Bei Sportarten mit schnellen, intensiven Belastungen – wie zum Beispiel Kraft- oder Ausdauertraining – bereitet dynamisches Dehnen den Körper ideal auf das Training vor. Als Abwärmprogramm nach dem Sport hilft statisches Dehnen, körperlich und geistig wieder zur Ruhe zu kommen. Grundsätzlich gilt: je sportartspezifischer die Dehnübungen sind, desto besser!
Als klassisches Aufwärmprogramm vor dem Laufen hat sich eine kardiovaskuläre Trainingseinheit für den Kreislauf mit einer anschließenden, meist ruhigen Dehneinheit etabliert. In dieser statischen Phase kehrt der Puls auf die Ausgangsfrequenz zurück, der Körper „kühlt ab“. Beim dynamischen Dehnen wird hingegen gleichzeitig die Herzfrequenz gesteigert, die Körpertemperatur erhöht und die Muskulatur gelockert. Besonders ambitionierte Läufer können daher von einem dynamischen Aufwärmprogramm profitieren – sowohl körperlich als auch mental.
Im Mittelpunkt des dynamischen Dehnens steht die korrekte Ausführung der Bewegung. Anfänger starten mit einem langsamen Tempo und wenigen Wiederholungen, fortgeschrittene Läufer steigern nach und nach die Intensität. Diese vier Übungen eignen sich zum Dehnen und Mobilisieren der für das Lauftraining wichtigsten Muskelregionen:
Oberschenkel- muskulatur | Sprunggelenke | Hüftbeuger | Knie |
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Der Ausfallschritt dehnt und kräftigt die Oberschenkelmuskulatur gleichzeitig. Mit dem rechten Fuß einen langen Schritt nach vorne machen, dabei das linke Knie Richtung Boden senken. Das rechte Knie sollte jetzt über der rechten Fußspitze positioniert sein. Im Wechsel wiederholen. Wichtig: Bei dieser Übung die Bauchmuskeln anspannen, damit der Oberkörper aufrecht bleibt. |
Im langsamen Schritttempo werden abwechselnd die Knie gehoben – die Fußspitze zeigt dabei Richtung Boden. Das Standbein bleibt durchgedrückt, die Fersen berühren den Boden fast gar nicht. Wichtig: Nicht ins Hohlkreuz fallen. Mit dieser Übung werden die Sprunggelenke mobilisiert und die Wadenmuskulatur leicht gedehnt. |
In einem lockeren Gehtempo einen großen Ausfallschritt machen. Das hintere Knie senkt sich dabei in Verlängerung des Körpers zum Boden. Bei dieser Übung werden der Hüftbeuger gedehnt und die Fußgelenke gekräftigt. |
Das „Anfersen" ist ein fester Bestandteil des Lauf-ABC. Mit hoher Geschwindigkeit werden die Fersen Richtung Gesäß gezogen – die Oberschenkel bleiben dabei immer parallel. Wichtig sind kleine Schritte. Für einen Durchgang wird nur eine Strecke von ca. 20-30 Metern zurückgelegt. Bei intensiverer Ausführung wird neben den Kniegelenken auch die rückseitige Ober- schenkelmuskulatur angeregt. |
Anders als beim Stretching werden die dynamischen Dehnübungen nicht für eine bestimmte Zeit gehalten, sondern fließend wiederholt. Die Dauer des dynamischen Dehnens orientiert sich dabei an der Länge des Aufwärmprogramms.