In der traditionellen chinesischen Medizin – abgekürzt TCM – dreht sich alles um das Gleichgewicht. Die Gegensätze Ying und Yang bilden dann eine perfekte Einheit, wenn sie ausgeglichen sind. Das gleiche Prinzip gilt für Körper und Geist, Bewegung und Ruhe, Anstrengung und Entspannung. Durch Stress oder Erkrankungen wird dieses Gleichgewicht gestört. Um den genauen Auslöser für das Ungleichgewicht zu finden, betrachtet die chinesische Medizin nicht nur die betroffene Körperstelle, zum Beispiel einen verspannten Nacken, sondern den Menschen als Ganzes.
Als natürliche Heilmethode setzt die traditionelle chinesische Medizin nicht auf konventionelle Medikamente, sondern auf überliefertes Wissen und bewährte Methoden. TCM beruht auf fünf Säulen, die körperliche und geistige Auslöser gleichermaßen berücksichtigen: Akupunktur, die chinesische Arzneimitteltherapie (CAT), die Entspannungsmethoden Qigong und Taiji, die Massagetechnik Tunia und eine umfassende Ernährungslehre. Diese fünf Säulen können je nach den individuellen Bedürfnissen einzeln, in Kombination oder ergänzend zu westlichen Behandlungsmethoden eingesetzt werden – im Idealfall schon bevor Beschwerden auftreten.
Nach asiatischem Glauben fließt die Lebensenergie Qi über zwölf Energiebahnen – so genannte Meridiane – durch den Körper. Entlang dieser Meridiane liegen 361 klassische Akupunkturpunkte, an denen die Therapie je nach Beschwerde ansetzen kann. Angst vor Nadeln muss bei der Akupunktur niemand haben: Die sterilen Nadeln aus Stahl, Silber oder Gold werden mit einer kurzen, schnellen Bewegung nur wenige Millimeter weit in die Haut gestochen und sind kaum zu spüren. Einmal an der richtigen Stelle, bleiben die Nadeln zwischen 20 und 30 Minuten in der Haut. Bei bestimmten Methoden, zum Beispiel der Ohrakupunktur, können die Nadeln auch mit Pflastern fixiert und mehrere Tage getragen werden.
Über die Akupunkturpunkte werden Nervenenden stimuliert, die wiederum schmerzlindernde und entzündungshemmende Substanzen ausschütten – das Qi kann wieder frei durch den Körper fließen. Je nach Position der Nadeln wird mit Akupunktur eine Reihe von Beschwerden, von Übelkeit über Stress bis zu chronischen Muskelbeschwerden, behandelt. Die Nadeln werden dabei nicht unbedingt nur an der schmerzenden Stelle angesetzt. Vielmehr ist der Verlauf des betroffenen Meridians entscheidend. Für Rückenschmerzen sind zum Beispiel Blockaden des „Blasen-Meridians“ verantwortlich, der von der Nasenwurzel bis zum kleinen Zeh führt.
Besondere Formen der Akupunktur sind die Moxibustion und die Akupressur. Bei der Moxibustion wird über den Akupunkturpunkten getrockneter Beifuß verbrannt – durch den zusätzlichen Wärmereiz soll das Qi wieder zum Fließen gebracht werden. Bei der so genannten Akupressur werden die Akupunkturpunkte nicht mit Nadeln, sondern mit Druck stimuliert – entweder mit den Fingern, dem Handballen oder dem Ellbogen. Die Akupressur ist besonders alltagstauglich: Einfache Übungen können auch selbst zuhause oder unterwegs durchgeführt werden. Fester Druck mit Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen lindert zum Beispiel Kopfschmerzen.
Blüten, Blätter, Wurzeln und andere Pflanzenteile, selten auch Mineralien: Das sind auch die Grundlagen der chinesischen Arzneimitteltherapie (CAT). In der westlichen Naturheilkunde werden oft nur einzelne Pflanzen verwendet – Baldrian zur Beruhigung, Pfefferminze gegen Bauchschmerzen. Die asiatische Medizin setzt dagegen meist auf so genannte Rezepturen – die Kombination von mehreren Pflanzen. So können Wirkungen verstärkt und unerwünschte Nebenwirkungen ausgeschaltet werden.
Anwendung findet die chinesische Arzneimitteltherapie sowohl in der Zubereitung von Tees als auch von Tinkturen oder Salben – je nach Bedürfnis des Patienten.
Meditation trifft Konzentration trifft Bewegung: Das sind die traditionellen chinesischen Bewegungsformen Qigong und Taiji, das bei uns auch als Schattenboxen bekannt ist. Die langsamen, kontrollierten Bewegungen wurden schon vor Jahrhunderten in buddhistischen Klöstern als Meditationsform praktiziert und können auch heute noch helfen, zu innerer Ruhe zu finden. Nicht nur der Geist, sondern auch der Körper soll bei Qigong und Taiji entspannen: Die Übungen werden in einer fließenden Choreographie ausgeführt, um die Leitbahnen und ihre Reflexpunkte nacheinander und ausgeglichen zu dehnen. Gleichzeitig wird die Atmung gelenkt und auf ausgewählte Punkte konzentriert.
Bei Qigong werden Atmung, Bewegung und der Körper an sich intensiv wahrgenommen – besonders bei Stress und Hektik im Alltag eine wichtige Übung. Die entspannende Wirkung von Qigong und Taiji ist inzwischen auch in Deutschland angekommen: Viele Fitnessstudios, Sportvereine und Volkshochschulen bieten asiatische Entspannungsmethoden als festen Teil ihres Programms an.
Die hohe Kunst der Massageform Tuina wurde bereits 2400 vor Christus in einer der ältesten überlieferten Anleitungen der traditionellen chinesischen Medizin beschrieben. Auch bei Tuina ist das Gleichgewicht entscheidend: Zwischen aktiver und passiver Bewegung, Kneten und Greifen, direkter und indirekter Behandlung. Als Kombination von Massage und manueller Therapie bezieht Tuina Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke sowie ausgewählte Akupressurpunkte mit ein, um die Durchblutung zu fördern, Verspannungen zu lockern und Entspannung zu schaffen – kurz: die Lebensenergie Qi wieder zum Fließen zu bringen. Kneten, Streichen, Greifen, Klopfen: Der Einsatz von verschiedenen Massage- und Grifftechniken macht die Tuina zu einem intensiven Erlebnis mit – im Vergleich zu anderen Massageformen – oft länger anhaltender Wirkung.
Das Mittagessen in der Kantine oder Mensa macht eher müde als satt, das Lieblingsessen nach einem stressigen Tag richtig glücklich: Welchen Einfluss Ernährung auf unsere Stimmung hat, lässt sich im Alltag leicht beobachten. Die chinesische Ernährungslehre geht noch einen Schritt weiter und schreibt einzelnen Lebensmitteln spezifische Wirkungen zu – teils auf den Körper, teils auf den Geist. Für welche Beschwerden welche Lebensmittel geeignet sind, hängt von mehreren Faktoren ab – insbesondere Geschmacksrichtung, Wirkungsrichtung und Temperatur.
In der chinesischen Ernährungslehre gibt es keine pauschalen Verbote. Wie der ideale Speiseplan aussieht, hängt immer von den individuellen Bedürfnissen ab: Erlaubt ist, was gut tut! Wie in der traditionellen chinesischen Medizin allgemein, ist auch bei der Ernährung das Gleichgewicht entscheidend. So sollte zum Beispiel eine Mahlzeit im Idealfall alle fünf Elemente abdecken, um den Körper zu stärken und Krankheiten vorzubeugen. Falls das Gleichgewicht bereits gestört ist, wird mit den entsprechenden Lebensmitteln entgegen gesteuert. Bei den ersten Anzeichen einer Erkältung helfen scharfe Lebensmittel, die Abwehr in Schwung zu bringen. Saure Lebensmittel sollten dagegen gemieden werden. Durch die einfache Umsetzbarkeit solcher Anpassungen eignet sich die traditionelle chinesische Ernährungslehre ideal als Ergänzung zu anderen Behandlungsmethoden.